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China: “Unternehmensdemokratie”

“Mitbestimmung, chinesisch interpretiert*

von Au Loong Yu

Der chinesische Gewerkschaftsbund (ACFTU, All China Federation of Trade Unions) hat in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe von Arbeitsgesetzen gefördert. Bevor wir uns darüber zu sehr freuen, sollten wir uns jedoch daran erinnern, dass diese Gesetze häufig genug auf Betriebsebene keine Anwendung finden. In einem Land, das weder Rechtsstaatlichkeit noch Redefreiheit achtet, kann keine einzige Arbeitsgesetzgebung oder Sozialreform, geschweige denn ihre Wirksamkeit, ohne einen Bezug zu allgemeineren sozialen Aspekten und den Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit beurteilt werden.

Tatsächlich war es nicht in grauer Vorzeit, dass 100 Millionen Arbeiter in staatlichen Unternehmen Arbeitsplatzsicherheit und grundlegende Wohlfahrt genossen. Die Gesetze zu industrieller Demokratie und betrieblichen Interessenvertretungen (SWRC, Staff and Workers Representative Congress) gewährten ihnen Rechte, die viel weiter reichten als das deutsche Betriebsratsmodell. Hinzu kommt der Verfassungsrang der „führenden Rolle“ der Arbeiter in der Führung des Landes. Jedoch schaffen es diese Gesetze nicht, die Arbeiter davor zu schützen, dass ihre Betriebe privatisiert werden, oder dass sie gegen geltendes Recht entlassen werden.
Im Juli 2009 widersetzten sich die Arbeiter des staatlichen Tonghua Stahlwerks in der Provinz Jilin mit Gewalt gegen die wiederholten Versuche, ihre Betriebe zu privatisieren. Das ging so weit, dass sie den Manager zu Tode schlugen, als er ihnen drohte, sie alle zu entlassen, sollte er am Leben bleiben. Ihr Kampf half ihnen, die Privatisierung zu blockieren und ermutigte zu vergleichbaren Kämpfen in anderen staatlichen Stahlwerken. In der Folge gab die Zentralregierung Anweisungen an die kommunalen Behörden heraus, in denen daran erinnert wurde, dass die lokalen Vertreter und die Manager staatlicher Unternehmen die Gesetze insofern zu respektieren hätten, als es das Recht der SWRC sei, vor jedweder Privatisierungsinitiative konsultiert zu werden. Aber selbst für den Fall, dass diese Regierungsdirektive diesmal wirken sollte, bedeutet der Umstand, dass bis 2001 bereits 86% der staatlichen Industrieunternehmen umstrukturiert wurden und 70% entweder vollständig oder wenigstens teilweise privatisiert waren(1), dass diese Initiative schlicht zu spät kommt, um irgendeine substanzielle Bedeutung für die Arbeiter zu haben.
Das SWRC-Modell wurde erstmalig in der Folge des Sieges der Chinesischen Kommunistischen Partei (CCP) im Jahr 1949 eingeführt. Jedoch existierte es während der Mao-Ära über Jahrzehnte im Grunde nur als Papier. Während der Staatsrat in den 1980er Jahren die Wiederinkraftsetzung der SWRC formal erklärte, führte die Solidarnosc-Bewegung in Polen zu einer vorsichtigeren Haltung der CCP. Dies erklärt wohl zum Teil, wieso die SWRC institutionell so gestaltet wurden, dass sie die Kontrolle der Arbeiter über eben diese Institutionen schwächte, während sie doch dem äußeren Schein nach gestärkt wurde.

Betriebsräte in Deutschland sind den SWRC in China vergleichbar, abgesehen davon, dass die chinesische Variante mehr Macht hat als ihr deutscher Cousin. Zum Beispiel müssen deutsche Betriebsräte bei der Besetzung des Chefpostens oder überhaupt in der Auswahl des Managements nicht einmal konsultiert werden, von einem Recht, an der Entscheidung beteiligt zu werden, ganz zu schweigen. Zhu Xiaoyang und Anita Chan führen aus, dass „wenn die SWRC in China tatsächlich imstande wären, ihre gesetzmäßigen Rechte auszuüben, die Rechte von chinesischen Arbeitern in staatlichen oder genossenschaftlichen Unternehmen weit über die von Arbeitern im kapitalistischen System hinausgehen würden.“(2)

Aber der Teufel liegt im Detail. Während die CCP sehr eindrucksvolle Sprachbataillone auffährt, wenn es um „Unternehmensdemokratie“ geht, versucht sie doch in Wirklichkeit über die aktuelle Politik und das Kleingedruckte in den Gesetzen zu gewährleisten, dass das Parteikomitee fortfährt, sämtliche Macht zu monopolisieren sowie die gesetzlichen und politischen Rechte der Arbeiter in Luft aufzulösen. Während das Unternehmensmanagement in Deutschland nicht für die Betriebsratswahlen kandidieren darf, ist es ihrem chinesischen Gegenstück – Angehörige des Managements und Führungskader – nicht nur erlaubt in SWRC-Wahlen zu kandidieren, es ist tatsächlich gewährleistet, dass „Management-Führungskader des Unternehmens, einschließlich solcher in der Produktion und den verschiedenen Abteilungen, ein Fünftel der SWRC-Delegierten ausmachen.“ In der Praxis übersteigt der Anteil der SWRC-Delegierten mit einem Management-Hintergrund dieses eine Fünftel oft, manchmal reicht er bis über die Hälfte.(3)

Das bringt uns zu einer allgemeineren nationalen und gesellschaftlichen Situation, die noch immer von vielen Arbeitswissenschaftlern vernachlässigt wird. Grundsätzlich kann „Unternehmensdemokratie“ – oder eine verkrüppelte Ausgabe davon – einfach nicht die Interessen der Arbeiter verteidigen, wenn die Partei sämtliche politische Macht monopolisiert und die meisten ökonomischen Ressourcen und sich selbst über die Gesetze stellt. Mike McConville, Professor an der Rechtsfakultät der Universität von Hongkong, zitiert in seinem neuen Buch „Criminal Justice in China“ (Strafjustiz in China) ein chinesisches Buch zur Strafprozessordnung wie folgt: „Die CCP ist die einzige legale Partei; die Staatsführung wird von der Partei betrieben, alle staatlichen Organe stehen unter der Führung der Partei und das Justizsystem bildet hier keine Ausnahme. In einem solchen Herrschaftssystem müssen sich legislative und judikative Aktivitäten nicht nur an das Gesetz halten, sondern auch die Strafpolitik der Partei exekutieren.“(4)

Trotz der von der Partei gepflegten Rhetorik von der Rechtsstaatlichkeit, behaupte ich, dass das Eigeninteresse der chinesischen Bürokratie schlicht dagegen spricht. Diese Bürokratie unterscheidet sich sehr von der von Max Weber beschriebenen. Sie gibt sich einfach nicht damit zufrieden, gegen eine angemessene Bezahlung der willfährige Diener des Adels oder der Bourgeoisie zu sein. Im Gegenteil, sie ist die herrschende Klasse; sie ist zugleich Bürokraten und Kapitalisten und will deshalb einen garantierten Lohn und maximierte Profite zur selben Zeit. Bürokraten auf allen Ebenen betreiben oder besitzen Unternehmen direkt oder indirekt und profitieren von ihnen. Es ist allzu deutlich, dass dieser Status Quo eine Arbeiterklasse nicht tolerieren kann, die volle politische und Arbeitsrechte genießen will.”

Anmerkungen:

* Originaltitel Co-determination with Chinese characteristics; Übersetzung von Stefan Hochstadt erschienen in AMOS Nr. 3-2011
(1) Exit the Dragon? Privatization and State Control in China. Herausgegeben von Stephen Green und Guy S. Liu, Blackwell 2005, S. 18
(2) Staff and Workers’ Representative Congress. An Institutionalized Channel for Expression of Employees’ Interests? Zhu Xiaoyang und Anita Chang, Chinese Sociology and Anthropology. Vol. 37, Nr. 4, Sommer 2005, S. 6-33
(3) Zhidaihui weishenme meiyong (Why are the SWRCs useless?) Dong Fang Daily, 17. August 2009. http://news.ifeng.com/opinion/political/detail_2009_08/17/1346610_0.shtml
(4) Criminal Justice in China. An Empirical Inquiry. Mike McConville und Satnam Choongh, Edward Elgar Publishing Ltd., UK 2011, S. 400 – Im englischen Originaltext wird von „the criminal policies of the Party“ gesprochen; das kann neben der hier gewählten Übersetzung „Strafpolitik“ auch mit „kriminelle Politik“ übersetzt werden. Wahrscheinlich ist diese Doppelbedeutung vom Autor beabsichtigt (und wird deshalb wohl auch von Au Loong Yu zitiert); Anm. des Übersetzers.

 

(Quelle: Forum Arbeitswelten China – Deutschland.)


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